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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 13.05.2009


Tori Amos - Abnormally Attracted To Sin
Claire Horst

Auch auf ihrem neuen Album stellt die Songwriterin Klavier und Gesang in den Vordergrund. Seit ihrem zweiten Lebensjahr spielt Amos Klavier, und bis heute ist es ihr wichtigster Begleiter. Das ...




.... harmonische Zusammenspiel ihrer Stimme mit dem Bösendorfer Piano wirkt bisweilen fast zu glatt, so dass man sich beim ersten Zuhören im gefälligen Klang der perfekt arrangierten Songs verlieren kann.. Reinste, geschliffene Popmusik ohne Ecken und Kanten, das ist der erste Eindruck – etwas enttäuschend.

Beim genaueren Hinhören wird jedoch klar: wie gewohnt sind es die Texte, auf die es bei Tori Amos ankommt. Auf dem Vorgängeralbum American Doll Posse hatte sie fünf fiktiven Frauengestalten eine Stimme verliehen. Auch "Abnormally Attracted To Sin" verhandelt unterschiedliche weibliche Perspektiven auf die großen Themen Familie, Religion und Macht.

Die teilweise zuckersüßen Melodien scheinen sanft und zart – wären da nicht die Texte. Beinahe harmlos plätschert etwa die Musik zu "That Guy" daher. Gesangslinie und Instrumentierung mit Streichern und Klavier erinnern an bluesige amerikanische Filmmusik, etwas pathetisch und dramatisch. Der Song beschreibt die Abhängigkeit einer Frau von ihrem Mann, der "brings his war home", der seine Geliebte morgens "to cuts instead of kisses" aufwachen lässt. Die Diskrepanz zwischen Musik und Text entspricht vielleicht dem Widerstreit der Gefühle – dem Schwanken zwischen der Liebe zu dem Partner und dem Wunsch nach Freiheit: "Will we make up? Will we break up?"

Das Spiel von Macht und Unterwerfung, der Zwang zur Anpassung an gesellschaftliche Normen ist das Bindeglied zwischen den einzelnen Songs des Albums. Amos, die Tochter eines Methodistenpfarrers, zeigt sich von den Mechanismen der Kontrolle fasziniert: "I wanted to really investigate how we´re controlled by the threat of despair", erklärt sie auf ihrer Homepage. In ihrer Musik setzt sie sich damit auseinander, wie etwa religiöse Moralvorstellungen genutzt werden, um abweichendes Verhalten abzustrafen. Im Titeltrack wird der verführerische Körper einer Frau mit einem Kirchengebäude verglichen: "Don´t go in if you are abnormally attracted to sin". In "Flavor" heißt es: "Whose God then is God? They all want jurisdiction".

Für Amos geht es darum, sich von den Regeln der Gesellschaft zu befreien: "I wanted to look at power and how we think and how you can reclaim the right to think for yourself, to uncover what you believe in as a spiritual, sexual creature. You don´t need the approval of your family, or of their religion. […] What I am exploring with this record is power, and giving it away with your thinking. How do we become controlled?"

Das Spiel mit Mechanismen von Macht und Verführung durchzieht auch die Fotos im Booklet. Sie zeigen die Musikerin in einem altmodischen Hotelzimmer, dramatisch drapiert mit Highheels und Federboa, mit einem Dolch in der Hand oder mit Handfesseln am Fußende eines Bettes sitzend. Dieser irritierende visuelle Kontext korrespondiert mit der Widersprüchlichkeit des Spiels von Text und Musik – die Posen reichen von düster- erotischer Dominakluft bis zum romantischen All-American-Girl.

Glücklicherweise hat Amos auch Humor. In "Mary Jane" erzählt sie von einem pubertierenden Jungen, der endlich eine Freundin gefunden hat und mit ihr das Wochenende verbringen möchte. Die überraschte Mutter erfährt, dass es sich bei der großen Liebe um Marihuana handelt. Der Musik ist diese augenzwinkernde Ironie nicht anzumerken. Mit ganzem Pathos, mit der ganzen Großartigkeit ihrer Stimme und dem ganzen Einsatz ihres wichtigsten Partners, des Klaviers, haucht Amos die Geschichte dieser tragischen Liebe heraus. Amos wird immer leidenschaftlicher. Konsequent schließt das Album mit dem verrucht lasziven "Lady in Blue" ab, fast rauschhaft lässt Tori Amos sich und die ZuhörerInnen hier von der Musik mitreißen.

"Passion is a seducer, and this music is passionate. Even though somebody might be drinking beer, if they see the color of that red wine, it looks like blood, it looks so delicious and they might just have to taste it. I´m good old red wine. By letting myself age I think I´m better for drinking beginning in 2009."

AVIVA-Tipp: Das neue Album zeigt Amos auf der Höhe ihrer Kunst. Fans werden definitiv glücklich mit "Abnormally Attracted To Sin". In den stärksten Momenten erinnert Amos´ Stimmqualität an andere große Sängerinnen wie PJ Harvey oder Kate Bush. Die Gesamtatmosphäre ist jedoch sehr ruhig. Amos´ eigener Vergleich scheint sehr passend: eine CD wie ein gutes Glas Rotwein.

Tori Amos im Netz: www.toriamos.com und www.myspace.com/toriamos


Tori Amos
Abnormally Attracted To Sin

Label: Universal Music
VÖ: 15.05.2009

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Tori Amos. Tales of a Librarian

Tori Amos – American Doll Posse


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Beitrag vom 13.05.2009

Claire Horst